Irgendwann in dieser Nacht wurde mir fürchterlich schlecht, die Kostprobe vom gegrillten Schaf vertrug mein Magen offensichtlich nicht. Als ich ins Freie trat, regnete es bereits heftig.
Gerhard hatte bereits die Tage davor davon gesprochen, dass wir einmal einen Ruhetag einstreuen sollten, doch wir wollten das schöne Wetter zum Fahren nützen. Als es morgens noch immer regnete, erachteten wir diesen Tag als den idealen Zeitpunkt dafür. Am Nachmittag wollten wir uns mit meiner Arbeitskollegin Martina in Mostar treffen. Nach dem Frühstück zog ich mich wieder ins Bett zurück und schlief bis Mittag weiter. Ein Indiz dafür, dass ich diesen Tag wirklich gebraucht habe.
Gegen Mittag hörte der Regen auf und wir fuhren nach Mostar.
Ich hatte nach dem Krieg in Sarajewo ein kurzes berufliches Intermezzo, wo ich auch in Mostar zu tun hatte. Das Wählamt (Telefonzentrale) befand sich in dieser Zeit im Parterre eines Wohnhauses und an der Wand hing ein Porträt von Tito. Als ich nach dem Grund dafür fragte, sagte mir der Chef "This is our lowest common point" (Das ist unser kleinster gemeinsamer Nenner). Die alte Brücke, die 1993 zerstört wurde, wurde zwar von der UNESCO und der Weltbank um 15 Millionen Euro wieder originalgetreu aufgebaut, jedoch die inneren Brücken sind noch nicht restauriert.
Auf dem Berg Hum steht ein riesiges Kreuz, ausgerechnet dort, von wo die Kroaten die "Stari Most" zerstört haben. Links und rechts wachsen Kirchen und Moscheen in die Höhe. Als Papst Johannes Paul II. 1997 auf einen Besuch in Sarajevo bestanden hat und nicht nach Mostar kam, setzte er ein Zeichen, dass aus seiner Sicht Nationalismus und Religion unvereinbar sind. Doch 20 Jahre danach scheinen die alten Wunden immer noch zu bluten.
Nichtsdestotrotz ist die Altstadt ein Stück Erde, dass einem das Herz öffnet. Stein dominiert hier alles vom Straßenbelag bis zum Dach, verwinkelte Gassen und Torbögen verschachteln sich zierlich ineinander. Alle zehn Meter gibt es Neues zu entdecken und zu bestaunen, und wie eine Aorta läuft die grüne Neretva durch dieses großartige Gemälde. In meinem Inneren höre ich "Moj dilbere", ein Volkslied, von dem ich kein Wort verstehe, aber das diese Schwermut in sich trägt, die mich seit meiner Zeit in Sarajevo in diese Art Musik verlieben ließ. Künstler wie Goran Bregovic, Šaban Bajramović oder das Kocani Orkestar gehören seit dem fix zu meinen Hörerlebnissen. Dieser Gipsy,/arabisch/ türkische Einfluss bereichert diese Musik in einem Maße, von dem die oben in Zagreb mit ihrem Bauerngesang nur träumen können. Deswegen sind mir auch diese nationalistischen Rülpser so verhasst, weil sie diese wunderschöne Kultur verleugnen.
Wenig später trafen wir uns mit Martina, die uns selbstbemalte Ostereier und eine hochprozentige Labung schenkte. Leider war der Tag ziemlich kühl, wir konnten aber doch auf der Terrasse eines Kaffeehauses direkt über der Neretva eine Weile sitzen. Danach verabschiedeten wir uns wieder, wir würden uns in einem Monat im Büro treffen. Dieser Ruhetag hatte mir sehr gutgetan und morgen stand wieder eine anstrengende Etappe an.