Prolog
Nachdem sich mein ursprünglicher Plan, die Alpenumrundung aus gesundheitlichen Gründen zerschlagen hatte, wollte ich nun zwei Monate später wenigsten eine kürzere Strecke fahren. Die Elbe waren wir ja schon von Cuxhaven bis Melnik gefahren und so war die Oder schon lange in meinem Fokus. Nun bot sich diese Tour als Alternative an. Maria musste arbeiten und da ich keinen Partner finden konnte, musste ich meine erste Tour als Rentner alleine fahren. Im Juli konnte ich ordentlich trainieren und so stand dieser Reise nichts mehr im Wege. Zur Anfahrt war der FlixBus von Wien nach Berlin mit 50 EUR alternativlos und danach gab es noch eine dreistündige Anfahrt mit dem Zug bis Anklam.
Der Plan war, dass ich um 19:00 am Zielort ankommen sollte. Am Bahnhof Berlin Südkreuz hätte ich eine Stunde bis zum Zug. Als wir jedoch bereits in Prag eine halbe Stunde Verspätung hatten, kamen erste Zweifel auf, ob dieser Plan halten würde. Danach verloren wir bei der Grenzkontrolle von Tschechien nach Deutschland zusätzlich 20 Minuten. Spätestens jetzt sah ich ein, dass ich mir die Zugtickets via Internet besorgen musste. Ich weiß bis heute nicht, ob ich die richtigen Tickets gekauft habe (im Tarifdschungel der Deutschen Bahn ist man als Laie ziemlich verloren). Als wir kurz vor der Ankunft auch noch im Stau standen, checkte ich via Internet auch noch den Gleisplan des Bahnhofes. Sieben Minuten vor der Zugabfahrt stand ich am Bahnhof, noch während wir einfuhren, schmierte ich dem Beifahrer 5 EUR, er möge mir sofort das Rad vom Bus nehmen. Auf seinen Zuruf schob der Fahrer bei der Gepäckausgabe sämtliche hinderliche Koffer zur Seite und ich bekam mein Gebäck vor allen anderen. Die Bahnhofshalle durchquerte ich am Rad mit ca. 25 KMH - Rolltreppe rauf, Rolltreppe runter und ich stand vier Minuten vor der Abfahrt am Bahnsteig. Nachdem ich das Rad im Regionalzug verstaut und einen Platz mit Sicht aufs Rad gefunden hatte, war der Tag gerettet. Drei Stunden später checkte ich im Hotel „Am Stadtwall“ ein.
1. Tag Anklam - Lubieszyn 96 Km
Frühstück gab es bereits um 7:00 und somit konnte ich bereits um 7:30 losfahren. Nachdem in meinem geplanten Etappenziel Löcknitz kein Quartier mehr zu haben war, buchte ich das Hotel Sens in Lubieszyn gleich hinter der polnischen Grenze. Nach elf Kilometern erreichte ich das „Stettiner Haff“. Das ist das innere Küstengewässer im Mündungsbereich von Oder und Peene. Der Salzgehalt in diesem Gewässer schwankt zwischen 0,5 und 2 Prozent. Danach geht es kitschig schön ca. 10 km durch den Anklamer Stadtbruch. Dies ist eine 2000 Hektar große Moorlandschaft im Übergang zwischen Meer und Land. Ein fast verschwenderisches Übermaß an Leben tut sich links und rechts des Radweges auf, man muss sich fast zum Weiterfahren zwingen, staunend, demütig und dankbar, dass man hier zu Gast sein darf. Nach 30 Kilometern stand ich am Hafen von Mönkebude, bevor es über Ueckermünde und Bellin nach Rieth geht. Kurz vor Ried besteige ich noch mal einen Aussichtsturm und verabschiede mich vom Salzwasser Richtung Süden. Ab jetzt wird es ein bisschen beschaulicher, mir kommt vor, als hätte ich eine Sinfonie vom Ende zum Anfang gehört. Das „Finale Furioso„ zuerst und jetzt kommt die Pflicht … Aber es ist fast eine Sünde, bei diesem Wetter und Landschaft unbescheiden zu sein, es war das pure Vergnügen, diese Etappe zu fahren. Um 14:00 fuhr ich das erste Mal in meinem Leben nach Polen, einen Kilometer später hatte ich das Hotel Sens erreicht. Die freundlichen Damen an der Rezeption versorgten mich sofort mit einem emergency Bier, es hatte inzwischen 32 Grad. Das Hotel um 52 EUR war toll, ebenso das Essen und die zwei dazugehörigen Biere.
2. Tag Lubieszyn - Cedynia 105 Km
Nach dem sehr guten Frühstück konnte ich wieder um 7:30 starten. Durch die frische Morgenluft zu radeln war eine Wohltat und weckte alle Lebensgeister in mir. In der Nacht hat es geregnet und der Radweg war noch feucht, die Wolken hingen noch regenschwer am Himmel, aber verschonten mich Gott sei Dank mit ihrem Wasser. Die ersten 20 Kilometer ging es wenig spektakulär durch landwirtschaftlich geprägtes Gelände bis Pekun. Hier stößt man auf die Pekuner Seenkette - eine Kette von kleineren Seen, die offensichtlich in der Vergangenheit restlos überdüngt waren und es bedurfte einer fast zwanzigjährigen Sanierung, um wieder eine gute Wasserqualität zu erreichen.
Aber das Umfeld, zumindest was man vom Radweg aus sieht wenig einladend aus. Der Radweg führt direkt durch den Schlosshof des Schlosses Pekun, aber mehr als ein Foto war es mir auch nicht wert. Die nächsten 25 km gingen leicht hügelig dahin, bis man bei Mescherin das erste Mal auf die Oder stößt. In Garz (bei km 50 der Etappe) verlässt man die Oder und sieht sie erst bei Kilometer 80 wieder. Hier durchfährt man den Nationalpark „unteres Odertal“ es ist ein 10000 Hektar großes Naturschutzgebiet, das grenzüberschreitend mit Polen über 50 km lang und maximal 5 km breit. An den Radwegen verlaufen auch die Sperrzäune, die wegen der afrikanischen Schweinepest aufgestellt wurden. Meine ursprüngliche Destination Oderberg musste ich leider aufgeben, da kein Quartier zu finden war. Deswegen fuhr ich schon in Schwedt auf die polnische Seite und hier die letzten 25 Kilometer zu meinem Hotel in Cedynia. Dazwischen lag noch ein giftiger 100 Höhmeter Hügel. Doch in Summe war es ein schönes Radeln bei meinem zweiten Polenbesuch. Das Hotel Margo um 62 EUR lies keine Wünsche offen, besonders die ukrainische Borschtschsuppe war ein kulinarischer Leckerbissen.
3. Tag Cedynia - Frankfurt/Oder 95 Km
Als ich um halb sieben aus dem Fenster schaute, regnete es noch, so hatte ich beim Frühstück keine Eile und startete erst um 8:15. Der Regen hatte inzwischen aufgehört und es wurde ein heißer Tag prognostiziert. Nach 4 Kilometern auf der Bundesstraße Richtung deutscher Grenze machte ich einen kurzen Fotostopp um ein überdimensionales Kriegsdenkmal fotografieren. Dieses Denkmal sollte an eine Schlacht an der Oderfront 1945 mit einer selbstständigen polnischen Granatwerferbrigade und den Truppen der sowjetischen Armee (Originaltext der Hinweis Tafel) erinnern. In Anbetracht, dass zu diesem Zeitpunkt unter Schukow 11 russische Armeen 50 Kilometern südlich standen, ist wohl die polnische Beteiligung als auch der überdimensionale Adler ein bisschen vermessen. Ich fuhr mit guter Laune unter dem aufklarten Himmel weiter und überquerte nach 7 Kilometern die Grenze nach Deutschland. Kurze Zeit später war ich wieder auf meinem Orginaltrack. Danach begann das „Dammfahren“. Es hieß einfach direkt auf dem Damm oder unter dem Damm entlang strampeln. Auf dem Damm hatte man natürlich eine bessere Übersicht an alle Seiten, unter dem Damm sah man nur die rechte Seite. Ob man auf dem Damm fahren konnte, erkannt man von unten nur, wenn man ab und zu rauffuhr oder andere Radfahrer oben sah. Oben fuhr man solange wie man Asphalt oder einen guten Schotterweg hatte. Es wäre eine Wonne gewesen, wäre nicht starker Gegenwind aufgekommen, der mir ganz schön zu schaffen machte. Mittags pausierte ich an einem kleinen Stand direkt am Radweg und genoss einen herrlichen Streuselkuchen. Danach ging es in der sengenden Hitze wieder weiter, nicht einmal der ständige Gegenwind kühlte. Kurz vor 15:00 checkte ich im sehr guten Hotel City Residenz in Frankfurt an der Oder ein. Zur Belohnung gab ein Pilsener Premium und nach einer kalten Dusche ging es zum Sightseeing. Nachdem ich den Turm der Marienkirche erspäht hatte, ärgerte ich mich zunächst, dass ein davor gebautes Haus die Sicht auf die Kirche verstellte. Beim Betreten der Kirche erklärte mir eine freundliche Dame, dass die Kirche in 5 Minuten geschlossen wird, ich sie aber besichtigen könne, da sie eine Zigarette rauchen geht. Die Kirche war leer, aber hatte ausnehmend schöne Glasfenster. Beim Verlassen der Kirche bedauerte die Dame ob des wolkenverhangenen Himmels seien die Glasfenster nicht so schön wie üblich und dass die Kirche jetzt nur als Konzerthalle genützt würde. Danach erzählte sie mir in euphorischer Erwartung, dass in einer Woche Heino hier ein Konzert geben würde. Ich verabschiedete mich höflich und beschloss, meine kulturelle Besichtigung dieser Stadt zu beenden. Danach schüttete es wie aus Kübeln, der Himmel weinte mit mir. Ich tröstete mich mit einem XLarge Schnitzel, von den ich nicht einmal die Hälfte verzehren konnte. Eine Stunde später schleppte ich mich mit vollem Bauch zu meinem Hotel zurück, der Regen war vorbei, aber nicht die Enttäuschung, dass ein hässlicher viereckiger Turm das Wahrzeichen dieser Stadt sein sollte und in einer Woche in dieser schönen Kirche „So blau blau blüht der Enzian“ gesungen würde.